Seid barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist!
Das neue Jahr hat begonnen. Mit großen Hoffnungszeichen, aber auch weiterhin mit viel Ungewissheit. Mehr Klarheit wäre schön, mehr Stabilität und vor allem mehr Schutz. Stattdessen leben wir bereits seit einem Jahr im Ausnahmezustand.
Ängste und Befürchtungen, aber auch Unmut und Ungeduld sind weiterhin unsere Begleiter. Doch nicht nur unsere Gefühle und Gedanken begleiten uns im Jahr 2021. Mit der neuen Jahreslosung haben wir neben den vor uns liegenden Aufgaben auch eine bedeutsame Verheißung an unserer Seite. Zunächst einmal: Barmherzig sollen wir sein. Jesus selbst ist es, der uns dazu ermutigt. Doch diese Aufforderung erreicht uns nicht allein. Es ist nicht bloß unsere eigene Kraft, aus der wir handeln, sondern Gott selbst ist uns darin bereits Vorbild. Wie bitter und grausam es ist, wenn Menschen mit anderen unbarmherzig umgehen, das haben wir auch im zurückliegenden Jahr 2020 an vielen Beispielen in Politik und Gesellschaft wahrnehmen können: z. B. Regierungschefs, die aus narzisstischem Wahn heraus handeln… oder europäische Politiker*innen, die gegenüber den ins Niemandsland verbannten Flüchtlingen, nicht nur in Moria, versagen...
In der Verheißung zur Barmherzigkeit wird Gott mit einem Vater verglichen. Doch es reicht nicht, diesen Vergleich nur unvollständig zu zitieren. Zu viele Kinder haben nicht nur positive, sondern auch problematische Erfahrungen mit Vätern oder Vaterfiguren gemacht, nicht nur außerhalb von Kirche und Glauben. Das Gottesbild eines Vaters braucht daher diese genauere Beschreibung des barmherzigen Vaters. Denn auch Gottesbilder können übergriffig sein, wenn einzelne Versuche, Gott zu umschreiben, absolut gesetzt werden. Das Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, antwortet daher auch auf die Erkenntnis, dass es kein – aus Menschenmund geformtes – Bild gibt, das Gott wirklich gerecht wird. All‘ unser Reden kann nur Stückwerk bleiben. Genauso wie die Aussage des Propheten Jesaja 66,13: „Gott tröstet, wie eine Mutter tröstet.“ Barmherzig handelnd kommt Gott unserem Herzen nahe. Wie jemand, der uns schützend in die Arme nimmt. Unser Handeln kann so zu einem Echo der lebendigen Liebe Gottes werden. Barmherzigkeit Gottes ins lateinische übersetzt bezeichnet den 2. Sonntag nach Ostern: Misericordias Domini, der sog. Hirtensonntag. Er wird verbunden mit Jesu Aussage: „Ich bin der gute Hirte“ (Joh. 10, 11), der sogar bereit ist, für die Schafe zu sterben. Auch dies ist ein weiteres Bild für Gott bzw. Jesus. Doch auch hier ist nicht das Bild selbst das Wesentliche, sondern das damit umschriebene Handeln Gottes: ein Herz haben! Für andere da sein! Ein Vorbild auch für unser Tun und Lassen. Jeden Tag aufs Neue, nicht nur in diesem Jahr.
Pastorin Martina Dittkrist