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1. Thess 4, 1-8

Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung,
dass ihr meidet die Unzucht
und ein jeder von euch seinen Partner zu gewinnen suche in Heiligkeit und
Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.
Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel;
denn der Herr ist ein Richter über das alles,
wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen


Liebe Schwestern und Brüder,
das ist schon eine strenge Mahnung, die uns der Paulus uns hier nahelegt - in seinem
wohl ersten Brief, der überhaupt überliefert ist an die Thessaloniken. Er ist an Christen
gerichtet, die aus der griechischen Kultur kamen – und es war für den ursprünglichen
Juden Paulus mit Sicherheit schwer angekommen, welcher Umgang da üblich war -
mit der Sexualität und auch im wirtschaftlichem Handel.

Wenn ich nur an den damals in höheren Kreisen allgegenwärtigen Missbrauch von
Kindern denke, vor allem von Knaben – wie man in dem Zusammenhang so sagt:
Kann man den Überlieferungen glauben wurden bei Festmählern quasi als letzter
Gang Kinder zum sexuellen Vergnügen gereicht. Kinder, die Jesus so am Herzen
lagen. Auch die Prostitution, um die griechischen Tempel auch als religiös überhöhte
Kultprostitution, war unbestrittene Normalität. Das Bild der Frau der Frau aus den
untersten Schichten war grauenhaft: man sah sie tatsächlich abfällig als leeres Gefäß,
Skeuos - das erst der Mann füllen kann. (Gefäß - der Begriff, den Luther hier mit Frau
übersetzte – haben wir in der Lesung gleichberechtigter mit Partner übertragen).
Und auch mit der griechischen Art des Handels hatte Paulus ein Problem: Denn im
Handel galt das schlaue übervorteilen in jedwedem Geschäft als tüchtig – etwas, was
nach den Propheten des ersten Testaments (Amos!) als unmittelbar widergöttlich galt.
Deswegen – und vielleicht auch, weil Paulus mit Ende 30 noch einige Jugendliche
Leidenschaft bewahrt hatte - ließ er sich den griechischen Christen gegenüber hier
deutlich über die Wirtschafts- und Sexualmoral aus. Auch im Blick auf die
Judenchristen, deren Vorwurf gegen griechische Christen er entkräften wollte, dass sie
einer zu großen Freizügigkeit frönen würden.

Seine Gemeinde, seine Christen, sollten das Heil, dass sie durch Jesus gewonnen
haben, in einem heilen Leben zeigen. „Heiligung“ bedeutet bei Paulus zuerst: Durch
Christus geheilt sein, also aus der Liebe Gottes zu mir auch immer mehr das zu leben,
wofür Gott uns bestimmt hat: Nämlich zur Liebe, zu ihm, zum Nächsten, zu sich
selbst.

„Meidet die Unzucht – und jeder gewinne seinen Partner in Heiligkeit und
Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.“
Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht ist es einmal aufschlussreich für Euch und Sie
selber, in sich nach zu spüren, welche spontane Haltung Sie zu solche einer Mahnung
einnehmen. Welche Menschen oder Gruppen unter uns fühlen sich durch diese
Aufforderung spontan bestätigt?

In vorlaufenden Gesprächen konnte ich vor allem zwei Positionen erkennen:
Einmal die, die Moral für wichtig halten. In der Regel eher positionierte und länger
verheiratete Mitbürger: „Klar, da sieht man ja – schon Paulus hat hier die Grenzen eng
gezogen,“ sagen sie. Und sehen moralisch eher auf den Teil, in dem es um Unzucht
geht. Das mit dem Übervorteilen im Handel wird spontan weniger wahrgenommen.
Zum andern hörte ich die eher Progressiv-Lockeren, die nun sagen: Tscha, da sieht
man, wie weltfremd die Bibel oft ist – einfach historisch bedingt und heute ungültig.
Und vor allem frauenfeindlich. Schließlich benutzt Paulus im Urtext das Wort Gefäß für
„die Frau“. Gefäß! – ja: Leeres Gefäß ist gemeint, das eigentlich erst vom Mann gefüllt
Sinn macht. Schrecklich genug. Das mit dem Handel wäre –sagt der progressive -
allerdings ganz richtig und würde die kapitalistische Verherrlichung von Konkurrenz
und Übervorteilung im Kern treffen.

Wo, liebe Schwestern und Brüder, wo schlägt Ihr Herz - eher?
Dabei wäre Paulus, das ahnen sie sicher, mit beiden Positionen nicht wirklich
getroffen. Denn der Grad, den er hier beschreibt, ist schmal – und keineswegs so breit
wie die Moralkeulen, die man ganz gerne schwingt, wenn man sich zufällig auf der
rechten Seite wähnt. Und ich vermute: Den Begriff vom Gefäß hat er von den
Angesprochenen übernommen – vielleicht auch als Antibild von dem, was dann an
Aufwertung voller Ehrerbietung für den Partner folgt.

Uns heutigen christlichen Moralisten sei im Blick auf die Ehe allerdings deutlich
gesagt: die Ehe zur neutestamentlichen Zeit hat wenig mit der Ehe, die wir so meinen:
Z.B. hat Jesus kein Wort gegen die Vielehe gesagt, die sich damals oft aus der
üblichen Schwagerehe oder Leviratsehe ergeben hatte: Wenn ein Bruder starb,
musste der nächste Bruder die Frau als eigene annehmen, auch wenn er schon eine
hat - und soll ihr möglichst auch Nachkommen schaffen. Dazu fordert das erste
Testament auf (5. Mose 25,5ff, 1. Mose 38,8; Mt. 22,24). Auch hier soll Verlässlichkeit
und Vertrauen herrschen – doch wie gesagt – unsere Ein-Ehe heute ist damit im
Wesentlichen kaum zu begründen!

Paulus, liebe Gemeinde, geht es genau besehen um die Abwehr einer Haltung, die
den anderen als einen für sich ausbeutbaren Gegenstand sieht: Den Partner oder
Partnerin ebenso wie ein Gegenüber im Handel. Gieriges Besitzen des Partners
wollen vor allem zu Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Das ist hier Unzucht. –
Gegenbild: Dem anderen mit Ehrerbietung, also Achtung und Respekt zu begegnen.
Modern gesprochen: Mit der so wichtigen Haltung der Wertschätzung. Der Haltung zu
der wir aufgebaut werden, durch die Zusage Gottes, dass er uns über alle Maßen und
ganz unabhängig von eigenem Leisten und Können, wertschätzt und liebt – wie es uns
Christus eröffnet hat.

Und dies ist doch, liebe Schwestern und Brüder, ein wunderbares Geschenk des Heils.
Anstatt den Partner zu Besitz und gieriger Ausbeute zu machen –frei zu werden, ihn
als eigenständige Persönlichkeit zu achten. Es sind Zerstörungen in uns selbst, die
uns dies verschließen. Letztlich die Verachtung von uns selbst in uns, die sich im Raub
am andern das Leben sichern will. Gerade hier aber kann die Botschaft Jesu heilen.
Wunderbar, soweit es gelingt. Heiligung schafft die Kraft zur Liebe: Die Erfahrung des
Himmels auf Erden.

Natürlich: Auch wenn wir in den Zusagen Jesu Heilung erfahren- wir sind hier nie
ausschließlich heil, oder: Heilig. Wir bleiben immer auch Kinder dieser Welt und ihren
Ängsten, die uns das klammern und gierig-ängstliches einverleiben lehren – wie wir es
überall sehen. Heiligung, heil werden, ist in unserem Leben ein nie endender Prozess.
Vollkommenheit ist im Werden, nie im Sein! Wehe dem, der seine eigene Leistung in
oft ja nur scheinbaren Halten von Geboten und guten Taten meint zum Besitz von Heil
und Heiligkeit zu machen. Der hätte von Paulus nichts verstanden.

Vielleicht, weil Paulus im Laufe der Zeit ahnte, dass seien Aussagen zu Moralkeulen
umfunktioniert werden könnten, schrieb er in späteren Briefen oft vorsichtiger: Im
Korintherbrief etwa, 5 Jahre später, setzt er zu seinen Überlegung zum Ehestand
folgendes hinzu: Das sage ich zu eurem eigenen Nutzen; nicht um euch einen Strick
um den Hals zu werfen, sondern damit es recht zugehe, und ihr stets und ungehindert
dem Herrn dienen könnt. (1. Korinther 7, 35)

Und noch später, als vielleicht mehr gereifter Mann, der auf die 50 zugeht, schrieb er
in seinem letzten Brief, dem Römerbrief, sehr viel demütiger über sich selbst:
Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen
habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich
will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

Wohlbemerkt, liebe Schwestern und Brüder, damit hebt er seine Forderung nach dem
Halten der Gebote nicht auf, vor allem in ihrer Deutung nach dem dreifachen
Liebesgebot Jesu. Doch im Gegensatz zu jedem Moralisten bleibt er menschlich – und
kann dies bleiben, weil er im Gegenüber zu unserem Versagen stets die alles
überwindende Gnade Gottes stellt.

So. Und nun, liebe Schwestern und Brüder? Warum kommt dies nun heute, wo es
doch heute hier doch auch um unsere Gemeinde, um Wahlen und Leitung geht?
Wahrscheinlich ahnen sie schon, worauf ich hinaus will: Denn führen wir drei hier,
Philemon, Markt und Simon-Petrus – nicht auch so etwas wie eine Ehe – oder sagen
wir vielleicht besser eine Mènage o Trois? – was, wie gesagt ja nicht unbedingt gegen
das jesuanische Eheverständnis steht!

Das hinter allem stehende Liebesgebot sollte alle zwischenmenschlichen Beziehungen
unter Christen prägen - letztlich müsste unter uns Dreien also ein eheähnliches
Verhältnis stehen, indem wir uns mit Achtung und Respekt, Heiligkeit und Ehrerbietung
begegnen. Gier und Neigung zur Übervorteilung dürfe hier keinen Raum haben! Im
Gegenteil: Wir sollen dem andern Raum geben.

Und so könnte auch der Begriff des Gefäßes Sinn machen – wenn wir einander zum
schützenden Krug werden, indem wir ihn aufnehmen und lieben.
Das hieße, dass wir Christen der Drei Kirchen uns wagen, ein wenig von sich selbst
abzugeben, damit Raum in unseren Räumen entsteht für den andern – für
Veranstaltungen, Begegnungen, Äußerungen des andern: Dass wir ihn aufnehmen
und geschützten Raum geben mit seinen Arten und Unarten, seinen angenehmen
Seiten und seinen Unangenehmen, seinen Bravheiten und Absonderlichkeiten. Das
wir Gefäße für den andern werden. So wie Jesus uns zum Gefäß des Heils wurde.
So gesehen, kann – jetzt noch einmal auf die Partnerschaft liebender gesehen –
Gefäß sogar zu einem guten Begriff werden: Wenn wir einander wechselseitig zum
Gefäß werden.

Dazu am Schluss ein Liebesgedicht, dass diesen Gedanken weiterführt.
Es ist von Giaconda Belli und heißt „Wie ein Krug“ – und denken sie an die Liebe zu
Gott, zu einem Partner – wie auch die Liebe zu sich selbst:

In den guten Tagen mit Regen,
als unerschöpflich
wir uns liebten,
als wir uns einander
öffneten, einer dem andern,
wie heimliche Höhlen,
in diesen Tagen, Geliebter:
wie ein Krug fing mein Körper
all das weiche Wasser auf,
das du über mich strömen ließest,
und jetzt,
in diesen Tagen der Dürre,
wenn deine Abwesenheit die Haut
schmerzt und aufschürft,
fließt Wasser aus meinen Augen,
gesättigt von deinem Andenken,
und benetzt meinen trockenen Körper,
so leer und so voll von dir. (Giaconda Belli, Nicaragua)
Wer dies nur annäherungsweise zu einem Nächsten sagen kann – oder gar zu Gott,
der darf sich glücklich schätzten.
Amen

Das Kreuz (Hans-Albrecht Pflästerer)

 Holzkreuz zum UmhängenWenn Pater Anselm Grün ein Kind tauft, lädt er Eltern und Paten ein, als Zeichen des Schutzes ein Kreuz auf die Stirn des Täuflings zu zeichnen. Wenn der brasilianische Fußballprofi Giovanne Elber vom FC Bayern München eine starke Szene hat oder ein Tor erzielt, schlägt er wie im Reflex ein Kreuz vor dem Trikot. Es ist dasselbe Ritual in sehr unterschiedlichen Szenarien. Ein Ritual als Zustimmung zum Sein.

Mögen manche und mancher den Verlust von Religion in der Welt empfinden, das Kreuz behauptet sich, nicht nur auf Kirchentürmen und Altären, sondern, diesem und jenem Gerichtsurteil zum Trotz, in den Schulen und in den Herrgottswinkeln der Kneipen, in der Kunst, in der Mode wie in der Sprache. Menschen sind kreuzanständig oder kreuzbrav, kreuzunglücklich oder kreuzvergnügt. Sie tragen ihr Kreuz, kriechen zu Kreuze oder machen drei Kreuze hinter jemandem her, den sie fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Als modischer Schnickschnack sind Kreuze allgegenwärtig: auf zartem Mädchenbusen oder auf lederbekleideter Männerbrust, in Bronze, Silber, Gold, mit Steinen oder auch mal in die Haut geritzt: Kreuz ist in, Mann und Frau tragen es wie einen Talisman, gedanken- und vielleicht auch ahnungslos. Sie würden dies weniger unbekümmert tun, fiele ihnen wieder ein, daß an einem Pfahl mir Querbalken im Altertum Schwerverbrecher und Aufständische durch Aufhängen oder Annageln grausam hingerichtet wurden und daß der Tod oft erst nach langem Leiden durch Erschöpfung oder den Zusammenbruch des Kreislaufs eintrat.

Auch Jesus aus Nazareth endet so. Ein Schild nennt als Grund der Strafe, daß er der König der Juden sein wollte. Genug für die jüdische Geistlichkeit und römische Soldateska, ihn als politischen Terroristen abzuurteilen. Schon daß Jesus sagt, er sei Gottes Sohn, bringt sie gegen ihn auf. Er wird geschlagen, bespuckt, verhöhnt und stirbt einen qualvollen Tod. Er wird um Träume für alle, die gehofft hatten, Jesus werde Israel erlösen, sie vom Joch der Besatzer befreien und vielleicht auch vom wirtschaftlichen Elend. Die Jünger stieben in Panik auseinander, mit Jesus endet alle Hoffnung am Kreuz. Zurück bleiben Hilflosigkeit, Ratlosigkeit und Enttäuschung.

Doch das kann nicht alles gewesen sein. Was hätte dies mit Segen zu tun? Und was mit Zuversicht? Warum also ist das Kreuz zum Markenzeichen für die Kirche und für den christlichen Glauben geworden? "Die ersten Christen", schreibt der Theologe Günter Hegele, "glaubten, da im Sterben Jesu mehr geschehen ist als das Scheitern eines Idealisten. Er hatte ein neues Verhältnis zu Gott und der Menschen untereinander gepredigt und gelebt: Jeder ist von Gott geliebt. Keine Schuld, keine Vorschriften sollen dem mehr entgegenstehen. Es ist eine einmalige, im Grunde unerklärbare und unvergleichbare Tatsache der Geschichte, daß nach dem Tod Jesu am Kreuz der Glaube an ihn zu einer weltweiten und Jahrtausende dauernden Bewegung wurde. Die alles verändernde Grunderfahrung, daß Jesus lebt, wurde den Vorstellungen der damaligen Zeit entsprechend als Auferstehung oder Auferweckung bezeichnet." Tod wandelt sich in Leben, Scheitern in Durchbruch und Anfang.

Doch am Leben sein heißt noch nicht leben. Dazu braucht es die vielen, die den zahllosen physischen und psychischen Möglichkeiten widerstreiten, Menschen auch heute noch zu "kreuzigen". Dazu braucht es den langen Atem der Hoffnung und die kräftigen Arme der Liebe, die, wie Klaus Eulenberger formuliert, "weite Aussicht, als Findigkeit und List, als Stärke, die sich nicht hart macht, als Liebe zu allem Lebendigen, als heitere Bescheidenheit".

Dort, wo wir zu unterscheiden lernen, welche Kreuze wir zerbrechen können und welche wir tragen müssen, wird das Kreuzsymbol zum Segenszeichen.

Hans-Albrecht Pflästerer

Für die Nachdruckgenehmigung bedanken wir uns beim Autor und der Zeitschrift JS.

Über die Beichte (Barbara Hanzig)

Hat der Protestant nur seinen Hund? Über die Beichte

”Asche auf mein Haupt” sagen wir manchmal, wenn wir etwas falsch gemacht haben – und erinnern damit unbewusst an den alten Aschermittwochsbrauch, mit Asche oder einem Aschekreuz die eigene Schuld zu zeigen. Wie gehen wir eigentlich mit Schuld um?

Der Schriftsteller Max Frisch schrieb in einem seiner Romane: „Ein Katholik hat die Beichte, um sich von seinem Geheimnis zu erholen, eine großartige Einrichtung; er kniet und bricht sein Schweigen, ohne sich den Menschen auszuliefern, und nachher erhebt er sich, tritt wieder seine Rolle unter den Menschen an, erlöst von dem unseligen Verlangen, vom Menschen erkannt zu werden. Ich habe bloß meinen Hund, der schweigt wie ein Priester, und bei den ersten Menschenhäusern streichele ich ihn.” (Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein) Hat der Katholik die Beichte und der Protestant nur seinen Hund? – möchte man da fragen.

Eines aber verbindet wohl beide, ein „Geheimnis”, das man nur schwer hergibt, das nur schwer in Worte zu fassen ist, und doch einen Ort braucht, wo es Raum hat und aufgenommen werden kann. Oft hat dieses „Geheimnis” etwas zu tun mit erlittener oder begangener Schuld oder mit beidem. Dinge, die verletzend oder beschämend waren. Wir möchten sie verschweigen. Im Verschweigen sollen sie verschwinden – und sind doch in uns.

Schon in den alten Texten der Bibel heißt es sehr bildhaft: „Solange ich es verschwieg, wurde ich körperlich krank, innerlich schrie es unaufhörlich in mir.” (Psalm 32,3)

Die Bibel spricht sehr selbstverständlich von Sünde. Sie meint damit das Trennende. So wie ein Sund (daher kommt das Wort „Sünde”) zwei Ufer voneinander trennt, so trennt mich die Sünde von Gott, von meinem Mitmenschen, von mir selbst. Es ist also zunächst gar kein moralischer Begriff, sondern beinhaltet die natürliche Erfahrung nicht im Gleichklang mit all dem zu leben, was mich umgibt.

Wir heute tun uns schwerer, von Sünde zu reden. Wir wissen viel darüber, wie sehr Schuld die Folge sozialer Missstände und seelischer Erkrankungen sein kann. Und doch ist uns das Gespür für Schuld nicht verloren gegangen. Leserbriefe und Talk-Shows sind voll davon. Diese Menschen suchen einen Ort, ihr „Geheimnis” loszuwerden, und stellen sich damit doch oft nur bloß.

Die Beichte, wo sie nicht als unselige Pflicht oder Karikatur ihrer selbst daherkommt, bietet einen Ort, an dem in aller Ruhe einmal Sprache finden darf, was einen im Innersten quält. Es darf ausgesprochen werden, herausgesprochen werden, um es loszuwerden. Gott nimmt die Last der Schuld auf sich, er vergibt. Der Mensch (Priester, Pastor, Christ) ist nur Zeuge des Gesprächs, der es noch einmal in Worte fasst: „Dir sind deine Sünden vergeben im Namen Gottes.”

So kann ein Mensch sich von seinem „Geheimnis” erholen, sich aufrichten lassen und wieder aufatmen. Zum Glück hat auch der Protestant die Beichte und nicht nur seinen Hund. 

Barbara Hanzig

 

Verzicht (Hans-Albrecht Pflästerer)

Verzicht

Wer will schon verzichten? Die Zeiten stehen eher auf Gegenkurs. Weil sie auf nichts verzichten wollen, leben immer mehr Menschen auf Pump. Die Schuldnerberatungsstellen lassen grüßen.

Vielleicht sind die Raffer ohne Kohle bei dem englischen Erzähler Oscar Wilde in eine schlechte Schule gegangen: „Man versehe mich mit Luxus. Auf alles Notwendige kann ich verzichten.” Da ließe es sich mit dem griechischen Philosophen Plutarch vermutlich viel bequemer und unaufgeregter leben: „Wer wenig braucht, der kommt nicht in die Lage, auf vieles verzichten zu müssen.”

Es gibt geistvolle Einlassungen über den Verzicht. Etwa die des Filmschauspielers Mario Adorf: „Unter Verzicht verstehen Frauen die kurze Pause zwischen zwei Wünschen.” Oder des französischen Schriftstellers François La Rochefoucauld: „Wer glaubt, auf alle Welt verzichten zu können, täuscht sich. Wer glaubt, dass die Welt auf ihn nicht verzichten kann, täuscht sich noch mehr.”

Verzicht kommt aus der Sprache des Rechts. Wer verzichtet, gibt den Anspruch auf, über irgendetwas das Sagen zu haben. Ist nachgiebig. Kann gönnen. Beweist Großmut. Wer verzichtet, gibt bestimmte Ansprüche auf, wird frei für irgendetwas, das er oder sie für sinnvoller, lohnender und spannender hält. Und oft genug kommt Verzicht auf die eigene Lebensqualität in Umwelt und Gesellschaft anderen zugute.

Wer verzichtet, lebt den Spannungsbogen zwischen Gier auf Lebensqualität und einfachem Leben. Man kann das mit Martin Heidegger auch philosophisch sehen: „Verzicht nimmt nicht. Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.”

Der Spagat zwischen Lebensqualität und Enthaltsamkeit auf Zeit, Genießen und Beherrschen, das war wohl der Kitzel, dem vor mehr als 20 Jahren eine Hamburger Tischrunde – fast aus einer Schnapslaune heraus – aus Theologen und Journalisten nachgab. Als die Kippen immer mehr und die Flaschen immer leerer wurden und ohnehin der Aschermittwoch nahte, kam ihr die Idee, zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag Konsum dranzugeben, der durchaus den Charme von Luxus hatte: die Zigarette zu verschmähen, den Rotwein zu meiden, die Süßigkeiten zu ächten und das Fernsehen zumindest einzuschränken, kurzum: die Lust an der Sucht zu beherrschen. Ein tapferer Angriff gegen den irisch- spöttischen Schriftsteller George Bernard Shaw: „Die Tugend besteht nicht im Verzicht auf das Laster, sondern darin, dass man es nicht begehrt.”

Die Idee faszinierte. Über die Jahre hin entstand in Deutschland eine Gemeinschaft der Fastenden. Sie werden heute vom Frankfurter Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik mit einem Fastenkalender und vom Hamburger Verein „Andere Zeiten”, der sich um Alternativen im Umgang mit dem Kirchenjahr bemüht, mit einem wöchentlichen Fastenbrief bestärkt. In diesem Frühjahr wurden 15 000 Briefe versandt. Tendenz steigend. Vielleicht vermögen sie ja die Einsicht in Martin Luthers Erkenntnis zu fördern: „Wenn wir täten,was wir sollten, und nicht machten, was wir wollten, hätten wir auch, was wir haben sollten.”

Hans-Albrecht Pflästerer

Für die Nachdruckgenehmigung bedanken wir uns beim Autor.

 

Leben und Sterben in Gottes Hand (Peer Lichtenberg)

Leben und Sterben in Gottes Hand

Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn.
Römer 14, 8

In diesem kurzen Satz des Apostels Paulus, dem Monatsspruch für April, stehen zwei große Worte, die doch kaum gegensätzlicher sein könnten, beinahe wie selbstverständlich beieinander: Leben und Sterben.

Zwei Dinge, die in uns vermutlich durchaus unterschiedliche Reaktionen und Empfindungen auslösen. Leben – ja, das wollen wir. Möglichst viel, möglichst lange, möglichst intensiv. Sterben – nein, damit möchten wir uns lieber nicht zu viel, zu lange und zu intensiv beschäftigen.

Natürlich wissen wir, dass das Sterben irgendwie zum Leben dazugehört. Schließlich steht das so auch in einschlägigen Lehrbüchern. Aber die tägliche Lebenspraxis ist doch häufig recht wenig von dieser Erkenntnis bestimmt. Allzu oft ist unser Alltag davon geprägt, dass wir vor dem Sterben davonlaufen, es ausklammern und die Augen davor verschließen.

Damit meine ich nicht nur die Situationen, in denen ein Todesfall droht oder bereits eingetreten ist. Das Sterben mitten in unserem Leben hat viele Gesichter und Ausprägungen. Wir fürchten es überall dort, wo sich unser Leben nicht ungehindert entfalten kann. Das Altwerden oder manche Krankheit scheint vielen wie ein Sterben auf Raten. Auch die Erfahrung der eigenen Grenzen, von Schwäche etwa, gehört dazu.

Wenn wir bestimmte Ziele nicht erreichen, kann es uns vorkommen, als seien wir ohnmächtig, wie tot. Nicht beliebt zu sein, ist für manche wie ein inneres Sterben. Bei bestimmten Niederlagen im Arbeitsleben sprechen wir von „beruflichem Selbstmord” u.s.w. Wenn wir nun all diese Erfahrungen immer als Feind des eigenen Lebens wahrnehmen, müssen wir so tun, als seien wir alle junge und dynamische (bis ins hohe Alter), kerngesunde und starke Siegertypen, beliebt und beruflich wie privat immer erfolgreich. Weil das aber nicht stimmt, ist das nichts weiter als eine Flucht vor der Realität. Eine aussichtslose, eine tödliche Flucht.

Glücklicherweise schreibt Paulus noch ein drittes großes Wort: „Wir gehören dem Herrn”. Damit ist Jesus Christus gemeint, derjenige, der im Neuen Testament „Herr” genannt wird, weil er gestorben und auferstanden ist (Phil 2,9ff). Er hat den tödlichen Gegensatz von Leben und Sterben überwunden. Auf ihn bezieht sich der christliche Glaube im Leben und im Sterben. Und wer zu diesem Herrn gehört, für den verliert der tiefste Gegensatz des eigenen Daseins seine unbedingte Bedeutung.

Der Apostel schreibt diese grundsätzliche und wunderbare Wahrheit erstaunlicherweise in einem Abschnitt des Römerbriefes, in dem es um konkrete und praktische Lebensfragen geht. Denn genau da ist der richtige Platz dafür. Vielleicht können wir Ostern, das Fest der Auferstehung, ja auch so lebenspraktisch begreifen: Ich muss mein Leben nicht mit der aussichtslosen Flucht vor dem Sterben vergeuden. Als zu Jesus Christus gehörender Mensch darf ich auch schwach, krank, alt und nicht immer erfolgreich sein und dennoch in all dem das Leben finden.

Ich wünsche Ihnen eine lebensfrohe Passions- und Osterzeit.

Peer Lichtenberg